Karlsruhe (dpa) - Der wärmste Herbst seit Beginn der Wetteraufzeichnungen konnte das Problem nur vorübergehend entschärfen: Nun sinken die Temperaturen, und rund 17 Millionen Gaskunden in Deutschland dürften sich schmerzhaft daran erinnern, dass damit wieder hohe Rechnungen ins Haus stehen. Die Gaspreise sind in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen und liegen derzeit auf Rekordniveau. Da trifft es sich gut, dass der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe an diesem Mittwoch (20.12.) sich erstmals damit beschäftigt, ob dieses Preisniveau noch angemessen ist.
Auslöser des Grundsatzverfahrens ist die Klage des pensionierten Richters Klaus von Waldeyer-Hartz aus Heilbronn, dessen Engagement gegen den Preisanstieg ihm in der Region bereits den Titel "Gaspreis- Rebell" eingebracht hat. Er wendet sich gegen Anhebung der Preise zum 1. Oktober 2004 um zehn Prozent - und hatte damit zunächst einen Aufsehen erregenden Erfolg erzielt: Das Amtsgericht Heilbronn erklärte die Anhebung für ungültig, allerdings korrigierte das dortige Landgericht das Urteil wieder zu Gunsten der Heilbronner Versorgungsgesellschaft.
Damit ist nun das höchste deutsche Zivilgericht am Zug, wobei noch nicht feststeht, ob bereits am Mittwoch ein Urteil fällt. Das juristische Einfallstor ist Paragraf 315 des Bürgerlichen Gesetzbuches, eine Art Schutzinstrument gegen Machtmissbrauch. Er ermöglicht den Gerichten die Kontrolle, ob ein Preis "nach billigem Ermessen" festgesetzt wurde, wenn beispielsweise ein Versorgungsunternehmen einseitig die Tarife festsetzen darf. Das hat der BGH etwa bei der Strom- und Wasserversorgung so gesehen, so dass beim
Gas nichts anderes gelten wird.
So kommt es, dass sich in den letzten zwei Jahren von den Amtsgerichten bis zu den Oberlandesgerichten der Republik die Urteile zu Gunsten der Gaskunden häufen. Dennoch diagnostiziert Holger Krawinkel, Energieexperte von der
Verbraucherzentrale Bundesverband, Unsicherheiten beim Thema Gaspreiskontrolle. "Die Richter warten auf das BGH-Urteil."
Denn noch sind wesentliche Fragen nicht höchstrichterlich entschieden: Inwieweit müssen die Energieversorger ihre Preiskalkulation offen legen, um den Gerichten und den Sachverständigen die Ermittlung des "angemessenen Preises" zu ermöglichen? Wie stark ist die an hohe Gewinne gewöhnte Branche, die sich nicht gern in die Karten schauen lässt, durch das Betriebsgeheimnis geschützt? Und schließlich: Welche Kosten kann der Versorger eigentlich einrechnen - dürfen etwa Stadtwerke, die defizitäre Bäder und Busse der Kommunen quersubventionieren, dies bei der Preiskalkulation veranschlagen?
Bekommt von Waldeyer-Hartz Recht, dann wird der auf die juristische Prüfung beschränkte BGH den Fall zurückverweisen müssen, um diese Fragen klären zu lassen. Jedenfalls begibt sich das Karlsruher Gericht damit auf ein Feld, auf dem andere ebenfalls kämpfen - wenn auch bisher mit mäßigem Erfolg: Die Bundesnetzagentur hat zwar mehrfach die Entgelte der Netzbetreiber für die Durchleitung von Gas um bis zu 25 Prozent gesenkt; auf die Preise für die Endkunden hat dies aber bisher wenig Auswirkungen gehabt. Und das Bundeskartellamt bemüht sich um eine Liberalisierung und Öffnung des Marktes, doch an den monopolartigen Strukturen hat das wenig geändert.
Anders als Regulierungsbehörde und Kartellwächter setzen die Karlsruher Richter direkt am Verbraucherpreis an. Das sieht zwar einfacher aus als das Aufbrechen von Monopolen. Doch im BGH selbst wird die Frage aufgeworfen, ob Zivilgerichte damit nicht überfordert sind.
Energie gehöre zur Daseinsvorsorge, so dass der Staat - trotz aller Privatisierung - wohl um eine gewisse Preisregulierung nicht herumkomme, sagte BGH-Richterin Barbara Ambrosius im Frühjahr beim Deutschen Mietgerichtstag. Weil dabei aber die Spannbreite der Probleme vom europäischen Kartellrecht bis zur volkswirtschaftlichen Theorie reiche, sei die Preiskontrolle ein sehr kompliziertes Unterfangen: "Schon wegen dieser Komplexität kann man fragen, ob die Zivilgerichte mit Hilfe des Paragrafen 315 prädestiniert sind, die Aufgaben einer staatlichen Regulierungsbehörde zu übernehmen."