Abstrakte Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung
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Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung ist häufig von der abstrakten Verweisung die Rede. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Frage, ob der Versicherte nach Eintritt der Berufsunfähigkeit einen anderen Job ausüben könnte.
Das Wichtigste in Kürze
- Die abstrakte Verweisung ist bei der Berufsunfähigkeitsversicherung relevant.
- Mit dieser Klausel behält sich ein Versicherer die Verweigerung der Leistung vor, wenn der Versicherungsnehmer nach Eintritt der Berufsunfähigkeit eine andere Tätigkeit ausüben könnte.
- Die abstrakte Verweisung ist unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer eine andere Tätigkeit auch tatsächlich aufnimmt. Entscheidend ist nur, ob dies theoretisch möglich wäre.
- Berufsunfähigkeitsversicherungen mit kundenfreundlichen Tarifen verzichten ausdrücklich auf die abstrakte Verweisung.
Für welche Versicherungen ist die abstrakte Verweisung relevant?
Bei der abstrakten Verweisung geht es um die Frage, ob eine Person in eine andere Tätigkeit wechseln kann, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen den erlernten Beruf nicht mehr ausüben kann. Damit ist diese Klausel vor allem für die private Berufsunfähigkeitsversicherung relevant, da hier die Versicherungsleistung aus einer Rentenzahlung bei Berufsunfähigkeit besteht.
Darüber hinaus können Klauseln zur abstrakten Verweisung auch in Versicherungspaketen enthalten sein, die eine Kombination aus Kapitallebensversicherung und Berufsunfähigkeitsversicherung bilden.
Keine Bedeutung hat die abstrakte Verweisung hingegen bei der gesetzlichen oder privaten Erwerbsunfähigkeitsversicherung. Die Frage des zuvor ausgeübten Berufs spielt bei der Erwerbsunfähigkeit keine Rolle, da die Versicherungsleistung erst dann erfolgt, wenn selbst leichte Tätigkeiten mit geringem Qualifikationsanspruch überhaupt nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt möglich sind.
Abstrakte Verweisung: Was bedeutet dieser Begriff?
Mit der abstrakten Verweisung behält sich eine Versicherungsgesellschaft vor, ihre Leistung bei einer Berufsunfähigkeit des Versicherten zu verweigern, wenn dieser noch zur Ausübung einer anderen beruflichen Tätigkeit in der Lage ist.
Beispiel: Ein Malermeister kann seinen Beruf wegen eines Bandscheibenschadens nicht mehr ausüben. Mit dem Hinweis auf die abstrakte Verweisung zahlt ihm seine private Berufsunfähigkeitsversicherung jedoch keine Rente, da er in der Lage wäre, in einem Baumarkt als Verkaufsberater in der Farbenabteilung zu arbeiten.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob die betroffene Person im Anschluss an die Berufsunfähigkeit tatsächlich einen anderen Beruf ergreift. Was zählt, ist alleine die Frage, ob die versicherte Person in der Lage wäre, auf eine andere Tätigkeit auszuweichen.
Welche Konsequenzen hat eine abstrakte Verweisung im Ernstfall?
Die private Berufsunfähigkeitsversicherung ist eine wichtige Police, um bei einer gesundheitlich bedingten Berufsunfähigkeit den Einkommensverlust abzufedern. Dabei geht es nicht nur um den kompletten Ausfall des Einkommens, wenn der Betroffene überhaupt nicht mehr arbeiten kann. Auch Einkommenseinbußen durch einen medizinisch notwendigen Wechsel in einen weniger anstrengenden, aber auch schlechter bezahlten Job lassen sich mit den Zahlungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung ausgleichen.
Einkommenslücke bleibt offen
Wenn die Versicherung eine abstrakte Verweisung geltend machen kann, erhält der Versicherungsnehmer keine Rente. Dadurch kann er die Einkommenslücke nicht schließen, wenn er bei einem gesundheitlich bedingten Wechsel in eine einfachere Beschäftigung weniger verdient als in seinem bisherigen Beruf.
Was ist die rechtliche Grundlage der abstrakten Verweisung?
Die abstrakte Verweisung ist als eigenständiger juristischer Begriff in Gesetzestexten nicht zu finden. Lediglich in § 172 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) findet sich der folgende Passus:
„Als weitere Voraussetzung einer Leistungspflicht des Versicherers kann vereinbart werden, dass die versicherte Person auch keine andere Tätigkeit ausübt oder ausüben kann, die zu übernehmen sie auf Grund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.“
Auf Basis dieser gesetzlichen Vorgabe formulieren Versicherer Klauseln, die sie dann in ihre Versicherungsbedingungen zum jeweiligen Tarif einbauen.
Klarheit schaffen oft erst Gerichtsurteile
Weil die gesetzlichen Grundlagen unterschiedlich interpretierbar sind, schaffen im individuellen Einzelfall oft erst Gerichtsurteile Klarheit, wenn eine Versicherung eine abstrakte Verweisung geltend macht und keine Berufsunfähigkeitsrente zahlen will. Wenn Betroffene über keine Rechtsschutzversicherung verfügen, kann ein solcher Rechtsstreit aufgrund des Kostenrisikos mit zusätzlichen Unwägbarkeiten verbunden sein.
Worauf sollte ich achten, um eine abstrakte Verweisung zu vermeiden?
Auf der sicheren Seite sind Verbraucher, wenn sie bei der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung einen Tarif wählen, bei dem der Anbieter ausdrücklich auf die abstrakte Verweisung verzichtet. Bei Angeboten, die diesen Hinweis nicht enthalten, müssen Interessenten die Tarifbedingungen durchlesen, um dort die Regelungen zu einer möglichen abstrakten Verweisung zu finden.
Abgrenzung zur konkreten Verweisung
Neben der abstrakten Verweisung können Berufsunfähigkeitstarife auch eine konkrete Verweisung enthalten. Der Unterschied zur abstrakten Verweisung besteht darin, dass es nicht darum geht, welche Tätigkeit der Versicherte noch ausüben könnte, sondern ob er nach dem Eintritt der Berufsunfähigkeit in einen anderen Job gewechselt hat. Damit gilt:
- Die abstrakte Verweisung bezieht sich auf Tätigkeiten, die der Versicherte theoretisch noch ausüben könnte.
- Die konkrete Verweisung bezieht sich auf eine Tätigkeit, die der Versicherte tatsächlich ausübt.
Während inzwischen ein großer Teil der Versicherer auf die abstrakte Verweisung verzichtet, sind Klauseln zur konkreten Verweisung in vielen Tarifen enthalten. Die Versicherungsleistung entfällt dann, wenn der Versicherungsnehmer eine Tätigkeit aufnimmt, die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Dies ist zumeist dann der Fall, wenn der Betroffene in etwas dasselbe Einkommen erzielt und der soziale und fachliche Status der neuen Arbeit vergleichbar ist mit dem Job, den der Versicherte vor dem Eintritt der Berufsunfähigkeit hatte.