Wohnungsbau: Warum trotz Boom der Bedarf nicht gedeckt wird
Stand: 23.05.2017
Bildquelle: ©Adobe Stock / Text: dpa-AFX
Frankfurt/Wiesbaden - Der Bauboom in Deutschland ebbt nicht ab. Allein im Jahr 2016 wurden knapp 278 000 Wohnungen fertig gestellt, so viele wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Doch selbst das reicht nicht, um die Nachfrage zu decken.
Denn dafür müssten 350 000 bis 400 000 Wohnungen pro Jahr entstehen, schätzen das Bundesbauministerium, die Bauwirtschaft und der Mieterbund. Doch seit Jahren hinkt die Zahl der fertigen Wohnungen dem Bedarf hinterher. So wächst das Defizit weiter. Zwar stehen auf dem Land Millionen Wohnungen leer, doch in Städten ist der Mangel groß - auch wegen der Zuwanderung. Wegen des knappen Angebots steigen so Preise und Mieten vielerorts immer weiter.
"Wir bauen am Bedarf vorbei"
Das Problem verschärfe sich, da in Großstädten falsch gebaut werde, klagt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Da gerade jüngere Menschen dorthin zögen und die Gesellschaft altere, fehlten Wohnungen mit zwei bis drei Zimmern. Errichtet würden meist große Wohnungen, sagt IW-Experte Michael Voigtländer. "Wir bauen am Bedarf vorbei."
Obendrein errichten Investoren oft Luxuswohnungen, die für breite Schichten unbezahlbar sind. Nötig seien jedoch günstige Wohnungen, fordert der Deutsche Mieterbund. Jährlich müssten zusätzlich 80 000 Sozialwohnungen und 60 000 bezahlbare Mietwohnungen entstehen, meint Bundesdirektor Lukas Siebenkotten.
Günstige Wohnungen lassen sich aus Sicht von Kritikern aber nicht so leicht bauen. Das liege auch an immer strengeren Vorschriften, klagt die Bundesarchitektenkammer. Seit dem Jahr 2000 sei allein die Energieeinsparverordnung für Neubauten viermal überarbeitet worden und habe die Kosten um 6,5 Prozent getrieben. Allein die Verschärfung 2016 verteuere das Bauen um weitere 7,3 Prozent. Die "Grenze der wirtschaftlichen Vertretbarkeit" sei längst erreicht, so der Verband.
Teures Bauland treibt Kosten
Strengere Vorschriften sind aber nur ein Treiber von Baukosten. Der wesentlich größere sei Bauland, sagt Andreas Schulten, Vorstand beim Immobilienanalysten Bulwiengesa. "Vom Bodenpreis hängt ein Drittel der Baukosten ab." Doch in Städten ist Bauland knapp und teuer. Neue Flächen gibt es oft nur auf Kosten von Grüngürteln, Schrebergärten oder Frischluftschneisen. Das birgt Zündstoff. Bis neues Bauland zur Verfügung steht, dauert es oft lange. Auch deshalb kommt es zum Stau am Bau: Wohnungen werden seit Jahren schneller genehmigt als gebaut. 2016 betrug der Überhang mehr als 605 000 Einheiten.
"Kommunen können nicht einfach Bauland ausschreiben, wie sie wollen", sagt Norbert Portz, Wohnungsbauexperte beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. So verhinderten auch Vorschriften zum Umwelt- und Artenschutz die Freigabe. Andernorts lägen Flächen brach, da sich die Besitzer wegen Erbstreitigkeiten nicht auf einen Verkauf einigen könnten oder auf noch höhere Bodenpreise spekulierten. "Die Hebesätze für solche Flächen sollten höher liegen", fordert Portz.
Um Bauland günstiger zu machen, verkaufen Städte wie München gezielt Flächen unter Wert an Investoren. "In manchen Konzepten werden Abschläge von 30 bis 40 Prozent gewährt", sagt Bulwiengesa-Experte Schulten. Doch das müssten sich Städte erst einmal leisten können.
Lücke zwischen Angebot und Nachfrage wird weiter wachsen
Die Immobilienwirtschaft sieht die Politik in der Pflicht. Sie klagt, die Länder verhinderten mit hohen Grunderwerbssteuern, dass sich Mieter eigene Wohnungen leisten könnten. Nur in Bayern und Sachsen liege die Steuer bei 3,5 Prozent, einige wie Thüringen oder Nordrhein-Westfalen verlangten schon 6,5 Prozent, so der Verband IVD. Er fordert, Käufer von selbst genutzten Wohnungen von der Grunderwerbssteuer zu befreien und sie generell zu senken. Doch dafür müssten die Länder auf Geld verzichten. 2016 stiegen ihre Einnahmen aus der Steuer laut IVD um gut zehn Prozent auf 12,4 Milliarden Euro.
Eine Linderung der Wohnungsnot ist daher nicht so schnell zu erwarten - zumal die Zahl der Baugenehmigungen jüngst wieder fiel. "Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage wird eher noch wachsen", sagt Bulwiengesa-Vorstand Schulten. "Die Preise dürften vielerorts weiter steigen." Die Folge seien Phänomene wie in den 80er Jahren. "Gerade Familien und weniger betuchte Schichten müssen in die Speckgürtel ausweichen, weil sie sich die Innenstädte nicht mehr leisten können."